Naziaufmärsche des „AB West“ in Essen (2005)

Wie versprochen, gibt es nun endlich eine Dokumentation und Nachbereitung der Naziaktivitäten in Essen zwischen Februar und Mai diesen Jahres.

In den letzten Monaten wurde die Stadt Essen in bisher nicht gekanntem Ausmaß zum Schauplatz organisierter Naziaktivitäten. Zu vergleichbaren „Aufmarschwellen“ kam es in letzter Zeit auch in anderen Ruhrgebietsstädten, wie beispielsweise in Duisburg, Dortmund oder Recklinghausen. Die Aufmärsche und Kundgebungen der Neonazis sowie die Gegenaktionen von „linker“ Seite wollen wir an dieser Stelle noch einmal dokumentieren und nachbereiten.

Bereits Mitte Februar 2005 kündigten verschiedene Neonazigruppen aus NRW einen Aufmarsch unter dem Motto „Keine Waffen für Israel – Keine Unterstützung für Zionisten“ am 16.04. in Essen an. Die Anmelder und Organisatoren des Aufmarschs kommen aus dem Spektrum der „Freien Kameradschaften“ um das „Aktionsbüro Westdeutschland“.

Zu einem ersten Vorfall im Zusammenhang mit dem angekündigten Aufmarsch kam es während einer Stadtratssitzung am 23.02., bei der sich der Rat mit der Ankündigung der Neonazis, durch Essen marschieren zu wollen, befassen sollte. Während der Ratssitzung entrollten anwesende Nazis ein Transparent und versuchten durch Zwischenrufe zu stören. Diese wurden daraufhin von Zivis und anwesenden AntifaschistInnen von der Zuschauertribüne entfernt.
Beteiligt waren an dieser Aktion nicht nur der Anmelder des Aufmarschs Axel Reitz, sondern auch lokale Essener Neonazis, die nicht in engem Kontakt mit den Akteuren des AB West standen und stehen.
Als Reaktion auf diesen Vorfall meldeten die Organisatoren des Aufmarschs für den 10.03. eine Kundgebung unter dem Motto „DKP verbieten“ in der City an. Bereits mehrere Wochen zuvor hatte die DKP eine Kundgebung gegen Faschismus und Neonazismus auf dem Willy-Brandt-Platz in der Essener Innenstadt angemeldet.

An dieser ersten Kundgebung des AB West in Essen beteiligten sich rund 60 Neonazis, hauptsächlich aus dem Ruhrgebiet. Die angereisten „Kameraden“ sammelten sich gegen 18.00 Uhr am Essener Hauptbahnhof um von dort aus unter massivem Schutz von 400 PolizistInnen zu dem ihnen zugewiesenen Kundgebungsort vor dem Gebäude der ehemaligen Volkshochschule zu gelangen. Zur gleichen Zeit beteiligten sich ca. 150 Personen an der Kundgebung der DKP auf dem Willy-Brandt-Platz.
Rund 60 Antifas versuchten an zwei verschiedenen Orten, den Nazis direkt entgegenzutreten. Dabei kam es zur 40 Festnahmen.
Die Nazis konnten ihre Kundgebung weitgehend ungestört, jedoch fernab der Öffentlichkeit durchführen.

Hausbesuch bei Neonazi…
Am 15. April, also einen Tag vor dem Naziaufmarsch, wurde Julian Engels, einem Mitglied der Essener „Kameradschaft Josef Terboven“, von rund 40 Antifas aus Essen und Umgebung ein Hausbesuch abgestattet. Dabei wurde seine Nachbarschaft im Stadtteil Kray durch Flugblätter und Redebeiträge auf seine Aktivitäten in der Naziszene aufmerksam gemacht.
Julian Engels versucht seit geraumer Zeit sich als Anti-Antifa Aktivist zu etablieren, indem er vermeintliche Linke und Antifas abfotografiert und so versucht Informationen über linke Strukturen zu sammeln. Zudem gehört er zum festen Kern der „Kameradschaft Terboven“.
Zum Zeitpunkt der Demo war Julian Engels gerade mit einem weiteren „Kameraden“ auf dem Weg nach Hause. Nachdem er die Gruppe von AntifaschistInnen vor seinem Haus bemerkte, ergriff er die Flucht und informierte die Polizei, die jedoch erst eintraf, als sich die Demonstration vor seinem Haus wieder aufgelöst hatte…

>> [Bilder und Bericht >>]

Naziaufmarsch und Gegendemos
Der Aufmarsch des „Aktionsbüros Westdeutschland“ war ursprünglich ab 11.00 Uhr in der Essener Innenstadt angemeldet worden, wurde jedoch aufgrund polizeilicher Auflagen in den Stadtteil Frohnhausen verlegt. Dies hatte bereits im Vorfeld bei linken Gruppen und einem Teil der Bewohner für Empörung gesorgt, da Frohnhausen zu den am dichtesten besiedelten Stadtteilen gehört und den Nazis eine Demonstrationsroute auf den zentralen Straßen und Plätzen im Ortskern zugewiesen wurde.

Gegen den Aufmarsch waren von verschiedenen Gruppen zwei Gegendemonstrationen angemeldet worden.
Das Bündnis „Essen stellt sich quer“ mobilisierte für 10.00 Uhr zu einer Kundgebung in der Essener Innenstadt, von wo aus der Demonstrationszug in Richtung des Bahnhofs Essen West ziehen sollte. Es beteiligten sich knapp 1000 Personen, unter ihnen zahlreiche Vertreter von Parteien, Kirchen und Gewerkschaften.
Die Demonstration regionaler Antifa-Gruppen startete am Rüttenscheider Stern unter dem Motto „Antisemitismus und Antiamerikanismus bekämpfen!“. An der Demo, die durch die Stadtteile Rüttenscheid und Holsterhausen zog, beteiligten sich über 300 AntifaschistInnen. Ohne nennenswerte Zwischenfälle endete sie an der Haltestelle Hobeisenbrücke, von wo aus die TeilnehmerInnen von den anwesenden Polizeikräften zum Hauptbahnhof, dann zum Bahnhof Essen-Frohnhausen und schließlich bis zur Abschlusskundgebung der Bündnisdemo am Bahnhof Essen-West begleitet wurden. Dort kam es zu ersten Auseinandersetzungen mit der Polizei, als einige Antifas versuchten die Absperrgitter zu überwinden.
Im weiteren Verlauf kam es bei kleineren dezentralen Aktionen immer wieder zu überaus gewaltsamen Übergriffen seitens der Polizei. Bei einer Kesselungsaktion der Polizei an der Nöggerathstraße wurden neun DemonstrantInnen verletzt und mussten zum Teil ins Krankenhaus gebracht werden. Einem abschließenden Polizeibericht zufolge wurden an diesem Tag insgesamt 18 Personen festgenommen. Die Essener Lokalpresse berichtete, dass insgesamt rund 700 PolizistInnen im Umfeld des Naziaufmarsch im Einsatz waren.

>> [Bilder vom Naziaufmarsch #1/ #2 / #3 / #4]

>> [Bilder von der Antifa-Demo]

lalala

Weitere Naziaktivitäten nach dem 16.04.
Unter dem Vorwand angeblicher Polizeirepression kündigten die NationalsozialistInnen nach dem 16.04. weitere öffentliche Aktivitäten in Essen an.

Die Erste folgte bereits am 21.04. in Form einer Kundgebung auf dem Willy-Brandt-Platz in der Essener Innenstadt. Gegen 19.00 Uhr kamen dort nach eigenen Angaben ca. 40 „Kameraden“ zusammen. Gut 100 GegendemonstrantInnen gelang es, in unmittelbarer Nähe der Kundgebung ihrem Protest Ausdruck zu verleihen. Dabei kam es erneut zu Festnahmen durch die Polizei.
Da auch auf Seiten der Nazis fünf Personen festgenommen wurden, kündigten diese in einschlägigen Internetforen an, in nächster Zeit erneut in Essen demonstrieren zu wollen: „Wir werden unser Versprechen, bei jeder Bullenschikane eine Demonstration durchzuführen, wahrmachen. Deshalb wird es 5 Demonstrationen in Essen geben!“

Dieses Vorhaben scheiterte zunächst an einem Verbot durch den Essener Polizeipräsidenten, der die Aktionen der Nazis nicht mehr durch die Versammlungsfreiheit gedeckt sah. Entgegen allen Erwartungen wurde das Verbot auch vom Bundesverfassungsgericht nicht aufgehoben, die für den 06.05. angemeldete Demonstration konnte somit nicht stattfinden.

Die nächste Demonstrationsanmeldung ließ allerdings nicht lange auf sich warten. So wurde am 21.05. unter dem wenig geistreichen Motto „Meinungsfreiheit ist erlernbar!“ erneut ein Aufmarsch durch Essen West durchgeführt, an dem sich allerdings gerade einmal 50 Personen beteiligten.

>> [Bilder und Bericht vom 21.05. >>]

Die magere Resonanz der lokalen Naziszene bei den letzten Aktionen war wohl für die Organisatoren des „Aktionsbüros West“ der ausschlaggebende Grund, vorläufig von weiteren Aufmärschen und Kundgebungen abzusehen. Weitere Naziaktivitäten in Essen wurden jedoch im Internet angekündigt.
Rückblickend kann durchaus positiv hervorgehoben werden, dass trotz der massenhaften Anmeldungen und Klein-Aufmärsche der Nazis relativ problemlos jedes Mal über 100 Personen zu den Gegenaktivitäten mobilisiert werden konnten. Eine Stärkung rechter Strukturen und neonazistischen Potenzials in Essen hatte die Aufmarschwelle (bisher) nicht zur Folge.