Dokumentation: Flugblatt zum ConnAct Antifa Kongress in Köln

Vom 14. – 15. Januar fand in Köln eine Antifa-Konferenz unter dem Motto
„ConnAct ! – Von der Vernetzung zu Aktion“ statt. Ziel sollte es sein,
die Möglichkeiten und Perspektiven „spektrenübergreifender“
Zusammenarbeit gegen Nazis auszuloten. Im Folgenden dokumentieren wir
ein Diskussionspapier antifaschistischer und kommunistischer Gruppen aus
NRW, welches auf der Konferenz verteilt wurde.


Difficĭle est, satĭram non scribĕre

Diskussionspapier zur „ConnACT“-Konferenz am 14./15.01.2011

Mehrere Antifa-Gruppen aus dem Rheinland laden im Januar nach Köln, um
mit „antifaschistischen Gruppen, zivilgesellschaftlichen Organisationen,
Parteien, Gewerkschaften und interessierten Einzelpersonen“ über die
auch 2011 anstehenden „großen extrem rechten Events“ zu diskutieren und
„langfristig angelegte überregionale spektrenübergreifende Bündnisse“ zu
schaffen.
Im Folgenden werden einige Kritikpunkte an der Konferenz und deren
Hintergrund erläutert. Es ist uns wichtig vorher zu betonen, dass wir
mit diesem Flugblatt die Diskussion suchen und nicht kategorisch einen
Bruch mit allen an der Konferenz Teilnehmenden vollziehen möchten. Aber
Kritik ist kein konstruktiver Wattebausch, sondern eine Waffe, weshalb
wir darum bitten, etwas Nachsicht zu haben, wenn die eine oder andere
Formulierung vielleicht zunächst etwas hart erscheint. Wir sind der
Auffassung, dass wenn Argumente konsequent und klar verfasst sind, sie
sich leichter diskutieren und auf ihr Zutreffen überprüfen lassen.

Auf zum Bündnis! – Auf zum Atom!
Aufgrund der eigenen Schwäche suchten Antifa-Gruppen schon immer den
Kontakt zu zivilgesellschaftlichen Organsiationen und Teilen der
radikaleren Linken. Neu ist die Bestrebungen der Konferenz also nicht.
Neu ist hingegen eher, dass Antifas, anders als noch in den neunziger
Jahren, immer weniger versuchen radikale Gesellschaftskritik in solchen
„großen“ Bündnissen zur Debatte zu stellen. Das Bündnis an sich scheint
Selbstzweck geworden zu sein, und der Zweck – möglichst viele Menschen
gegen Nazi-“Großevents“ auf die Straße zu bringen – heiligt alle Mittel.
Zu einem „radikalen Akt“ wird bestenfalls noch der vermeintliche „zivile
Ungehorsam“ und der „kollektive Regelverstoß“ geadelt. Einen solchen
erkennen die OrganisatorInnen antifaschistischer „Großevents“ vor allem
in friedlichen Sitzblockaden von (auch sonst) gesetzestreuen
BürgerInnen. Dass deutsche BürgerInnen aber nicht von „der Antifa“ zu
„kollektiven Regelvestößen“ ermuntert oder gar getragen werden müssen,
sondern dass eben diese auch von selber auf solche „radikalen“ Ideen
kommen, beweisen nicht zuletzt die Proteste gegen Stuttgart 21. Zu
denken geben könnte allerdings, dass einzig Proteste gegen Nazis und
RechtspopulistInnen, gegen Atommülltransporte und Bahnhofsumgestaltungen
das – bestenfalls – linksliberale Milieu in Deutschland auf die Straße
treibt, während selbst reformistische Proteste gegen den Sozial- und den
Grundrechteabbau kaum auf Resonanz stoßen – von Demonstrationen gegen
die deutsch-europäische Asylpolitik oder das Privateigentum an
Produktionsmitteln ganz zu schweigen.

Der Grund, weshalb „breite Bündnisse“ – welche letztlich natürlich auch
nur die immer gleichen linksliberalen bzw. zivilgesellschaftlichen
Organisationen vereinen – funktionieren, ist darin zu suchen, dass
radikale Gesellschaftskritik in den Bündnissen nicht diskutiert wird
oder zumindest nicht nach außen hin sichtbar gemacht wird. „Antifa“, so
war es zumindest einige Zeit Konsens, bedeutete auch eine unbeirrte
Bekämpfung der Verhältnisse, die immer wieder faschistische und
nationalsozialistische Ideologien hervorbringen müssen und das ohne
hinter die bürgerliche Gesellschaft (zum Beispiel auf einen autoritären
Staat oder eine proletarische Diktatur) zurückzufallen. Allein mit dem
Label „links“ und „antikapitalistisch“ war es nicht getan, sondern es
ging darum sich eine Kritik der Gesellschaft anzueignen, durch Austausch
und Kontroverse zu schärfen und weiter zu vermitteln. Auf dem
„Antifa-Kongress“ vermisst man diese wichtige Erkenntnis.
Nur logisch ist es deshalb, dass beim Auftakt der von antifaschistischen
Gruppen getragenen Konferenz diese Frage diskutiert werden soll:
„Inwiefern muss jeder Protest gegen öffentliches Auftreten von Neonazis
auch den Rassismus der Mehrheitsgesellschaft thematisieren?“. Auch wenn
sie nach einigen Tagen wieder von der Homepage verschwunden ist, in den
offiziellen Flyern findet sie sich noch. Man kann diese Frage wohl nur
als eine rhetorische begreifen. Die Xenophobie der Mehrheitsgesellschaft
und die rassistische Politik von BRD und EU können und sollen in
„breiten“ Bündnissen nicht auf angemessene Weise thematisiert werden.
Erst Recht darf bei Strafe der Implosion der “breiten Bündnisse” nicht
thematisiert werden, dass diverse aktuelle oder anvisierte
Bündnispartner (etwa Die Linke, Bündnis90/Grüne, SPD) die Abschiebe- und
Abschottungspolitik der BRD durch ihre aktuelle oder ehemalige
Beteiligung an Landes- und Bundesregierungen mittragen, wenn sie nicht
gar selbst rassistische Debatten forcieren. An dieser Stelle sei nur der
ehemalige SPD- und Linkspartei-Vorsitzenden Oskar Lafontaine und dessen
Rolle in der so genannten „Asyldebatte“ in den neunziger Jahren erwähnt,
denn eine weitere Aufzählung linker RassistInnen, oder gar eine Debatte
über die rassistische Verfasstheit von Staaten an sich („Insofern der
Staat die Mittel hat, zu bestimmen, wer sich wie auf seinem Territorium
ökonomisch betätigen darf, ist er von seiner Struktur her unaufhebbar
rassistisch verfasst.“ Manfred Dahlmann), würde hier den Rahmen massiv
sprengen.

Dreh und Angelpunkt Neonazi-Aufmärsche
In einem Aufruf zu „Massenblockaden“ gegen den Naziaufmarsch in
Stollberg heißt es: „Jeder erfolgreich durchgeführte Aufmarsch wirkt
motivierend, stabilisierend und ideologisierend auf die NS-Szene. Die
Auswirkungen zeigen sich in verstärkter überregionaler Vernetzung, aber
auch im Kleinen; durch ein alltägliches offensives, gewalttätiges
Auftreten von NeofaschistInnen in Stolberg, Düren, Aachen – Städte, in
denen Menschen zunehmend Opfer von Nazigewalt werden.“, weiter heißt es
in dem erwähnten Aufruf: „Für Neonazis sind kollektive Veranstaltungen
wie Aufmärsche nicht nur wichtig, um Rassismus und Nationalismus
öffentlich zu propagieren. Sie festigen auch das Selbstbild eines
kollektiven »Wir« der TeilnehmerInnen.“ So richtig der letzte Satz ist,
so verkürzt ist es, „rechte Events“ zum Dreh- und Angelpunkt
antifaschistischer Interventionen zu machen und sich Schwerpunktmäßig
auf die Initiierung von eigenen „Gegenevents“ zu konzentrieren. Nicht
selten gewinnen gerade Aufmärsche bei denen es „geknallt“ hat, also bei
denen es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei und
GegendemonstrantInnen gekommen ist, an Eventcharakter für den
„erlebnisorientierten“ Teil der Nazi-Szene. Die Verhinderung und Störung
von Naziaufmärschen mag für Nazis ärgerlich sein, die allerwenigsten
hören aber wegen eines verhinderten Aufmarsches auf, für die
nationalsozialistische Sache zu agieren und agitieren.
Aufmärsche sind vielmehr nur eine einzelne Ausdrucksform extrem rechter
Umtriebigkeit. Ungestörte regelmäßige Kameradschaftsabende, Konzerte
oder kleinere illegale Aktionen sind für das Selbstverständnis und die
Außenwirkung der neonazistischen Subkultur mindestens genauso wichtig.
Zudem drängt sich bei der Lektüre des Aufrufs zu den Protesten in
Stollberg der Eindruck auf, dass eine relativ starke Naziszene primär
die Folge von Aufmärschen wäre. Dabei ist es doch vielmehr so, dass
Neonazis gerade dort Aufmärsche veranstalten, wo sie über aktive,
gefestigte und verhältnismäßig große Strukturen verfügen. Gerade für die
Regionen Aachen-Düren, Siegen oder Dortmund-Hamm lässt sich dies
feststellen. Das Problem ist also eher, dass z.B. im Raum Aachen-Düren
Neonazis jahrelang agieren konnten, ohne von zivilgesellschaftlichen
Akteuren, Polizei, Verwaltung und auch „der Antifa“ gestört zu werden.
Die wenigen aktiven AntifaschistInnen in dieser Region waren Jahrelang
auf sich gestellt, auf Unterstützung von „Großstadt-Antifas“ mussten sie
lange vergebens warten. Es drängt sich also der Verdacht auf, dass
„Großstadt-Antifas“ vor allem dann in die Provinz aufbrechen wenn es
gilt, medienwirksam „Events“ in Form von „Massenblockaden“ und „breiten
Bündnissen“ zu inszenieren. Der „Nazialltag“, also die regelmäßigen
Übergriffe, „Propagandaaktionen“ und die Zusammenkünfte, in denen Nazis
neue Mitglieder agitieren und einbinden, stellen für AntifaschistInnen
und andere von Nazis zu Feinden erklärte Gruppen jedoch das viel größere
Probleme dar.

Beispiel Dortmund – Solidarität muss Praktisch werden!
Ähnlich wie dem Raum Aachen-Düren wird auch der nordrheinwestfälischen
„Nazihochburg“ Dortmund von Seiten des Großteils der Antifabewegung nur
dann Aufmerksamkeit geschenkt, wenn rechte „Großevents“ wie der so
genannte „Antikriegstag“ anstehen. Dabei lässt sich auch und gerade für
Dortmund konstatieren, dass der „Großaufmarsch“ zum „Antikriegstag“ und
dessen überregionale Bedeutung nur Ausdruck einer relativ starken und
gefestigten rechten Szene in Dortmund ist. Die organisierten Neonazis um
den „NW Dortmund“ verfügen nicht nur über ein „Nationales Zentrum“, in
dem regelmäßig Kameradschaftsabende und Veranstaltungen stattfinden,
sondern haben auch beste Kontakte zu den zahlreichen rechts-subkulturell
geprägten Stadtteil-Cliquen, zu rechten Fußballfans und Hooligans sowie
zu extrem rechten Parteien in Dortmund und Umgebung. Der engere Kreis
des “NW Dortmund” und das mobilisierbare Umfeld der Nazi-Szene in
Dortmund umfasst ca. 200 Personen und verfügt über eine gefestigte
Infrastruktur. Dies alles erklärt die zahlreichen öffentlichen
Auftritte, „Propagandaaktionen“ und auch Übergriffe bis hin zum Mord in
Dortmund. Die wenigen organisierten AntifaschistInnen in Dortmund und
dem Ruhrgebiet waren lange auf sich alleine gestellt und sind es auch
heute zumeist. Zu größeren Aktionen von Seiten der Dortmunder
Zivilgesellschaft und der nordrheinwestfälischen linken Szene kommt es
in Dortmund nur anlässlich des „Antikriegstages“ und auch das erst seit
zwei Jahren. Kurzfristig organisierte Antifa-Aktionen nach brutalen
Übergriffen oder die alljährliche Gedenkdemonstration für den 2005 von
einem Neonazi ermordeten Thomas „Schmuddel“ Schulz erfahren kaum
überregionale Unterstützung. Zurück geführt wird dies dann – wie in
einem Ankündigungstext der Konferenz – auf eine „Zersplitterung der
Spektren“. Hier ist zu erwähnen, dass zumindest ein „antifaschistisches
Spektrum“ jenseits vom „Antikriegstag“ kaum kontinuierlich gegen Nazis
in Dortmund aktiv wird, gleiches lässt sich über die „Spektren“
Zivilgesellschaft und Gewerkschaften sagen – und auch dies seit Jahren.
Wichtig wäre es, der rechten Szene in Dortmund kontinuierliche
antifaschistische Arbeit an 365 Tagen im Jahr entgegen zu setzen. Wie
die Erfahrungen der letzten zehn Jahre zeigen, kann sich auf die oben
erwähnten Spektren – nicht nur aus linksradikaler Perspektive – nicht
verlassen werden. Eine Fixierung auf den „Antikriegstag“ ist zudem mehr
als problematisch und dient wohl primär der Pflege des guten Gewissens
und dem Bedürfnis nach „Praxis“ der einmal im Jahr zum „Event“
anreisenden Bewegungslinken. Es lässt sich wohl nur darüber spekulieren,
wie groß die linksradikale Szene tatsächlich wäre, wenn diese
„Großevents“ vielen Bewegungslinken nicht selbst ein „Wir-Gefühl“
vermitteln würden, dass über die eigene Marginalität und
Bedeutungslosigkeit hinwegtäuscht.
Ein Patentrezept zur Zerschlagung der Nazi-Szene in Dortmund und in
anderen „Nazihochburgen“ können wir nicht anbieten. Sicher ist jedoch,
dass es viele bessere Methoden gibt mit denen man Nazis praktisch in die
Schranken weisen kann. Dazu gehört auch die Verhinderung ihrer
öffentlichen Auftritte und die konsequente Einschränkung ihrer
Bewegungsräume. Maßnahmen einer solchen Art müssen kontinuierlich
erfolgen, stehen einer radikalen Gesellschaftskritik aber nicht im Wege.
Im Gegenteil: Ein Event-Antifaschismus, der versucht möglichst viele
Menschen für spektakuläre Aktionen unter einen Hut zu bekommen, es aber
unterlässt, eine Gesellschaftskritik, die ihres Namens würdig ist, zu
entwickeln und zu artikulieren, bleibt auf lange Sicht wirkungslos.

Aktion und Politik – ist das wirklich alles?
Den auf diesem Kongress vertretenen antifaschistischen Politikansatz
halten wir also aus mehreren Gründen für kritikwürdig. Die hier
repräsentierten Gruppen vernachlässigen es seit Jahren, die
neonazistischen Aktivitäten gesellschaftlich zu kontextualisieren. Eine
Gesellschaftskritik, die über den Allgemeinplatz hinaus reicht, dass
„Rassismus auch aus der Mitte der Gesellschaft“ komme, artikulieren sie
nicht. Diese Kritiklosigkeit ist jedoch integraler Bestandteil ihres
„Erfolgsrezeptes“: Sie ist Voraussetzung für die viel beschworene
Zusammenarbeit mit Gewerkschaften, Kirchen, Parteien und anderen
Gruppen, die an der Verfasstheit dieser Gesellschaft nichts
grundsätzliches auszusetzen haben und jeden, der das anders sieht, unter
Extremismusverdacht stellen. Eine Zusammenarbeit zwischen Antifa und
zivilgesellschaftlichen Gruppen hat keine Radikalisierung dieser
Gruppen, sondern die Aufgabe von radikaler Gesellschaftskritik zur Folge.
Was die Versammelten vereint ist letztlich ein Praxisfetisch, der schon
durch die Kapitälichen des “ACT” auf den Werbematerialien zum Ausdruck
kommt. Nur in Hinblick auf erhoffte zukünftige Aktionen hat man sich –
sei es wegen fehlenden Inhalten oder ideologischen (freundlicher:
theoretischen) Differenzen – etwas zu sagen. Es geht nicht um
theoretische Diskussionen, die vielleicht im Vorfeld oder Vordergrund zu
stehen hätten, sondern um die Tat, sei sie abseits der Selbstbestätigung
und Selbsterhaltung durch Eigenwerbung noch so belanglos.
Im Umkehrschluss heißt diese Konstellation deshalb auch, dass der
inhaltliche Gehalt von Mobilisierungen auf einen langweiligen und
antikritischen Konsens heruntergebracht werden muss oder zumindest auf
das Nebeneinanderstehen von (ansatzweise) vernünftigen Positionen und
solchen, die erstere zu bekämpfen hätten, hinausläuft. Es wird taktiert,
für einzelne Bündnispartner schwierige Themen werden umschifft und am
Ende klopft man sich für die ach so erfolgreiche Bündnistümelei
gegenseitig auf die Schultern.
Doch auch in Hinblick auf den Anti-Nazi-Kampf bleiben die hier
vertretenen Strategien wirkungslos oder reichen zumindest nicht über
symbolische Erfolge, wie die Blockade des Naziaufmarsches in Dresden
hinaus. Jenseits solcher medientauglichen „Gegen-Großevents“ kommen
keine Aktionen in den regionalen Nazihochburgen zustande.

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