4-Fragen-Vortrag zum Antifa-Café

Im Rahmen des letzten Antifa Cafés fand ein Vortrag zur antideutschen Linken statt. Eine erste schriftliche Version steht jetzt zum Download bereit. Wir haben uns bemüht, den Text möglichst zeitnah zur Verfügung zu stellen, daher bitten wir schon einmal vorab darum, uns mögliche Rechtschreibfehler etc. nachzusehen…

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Das nächste Antifacafé findet am 04. April statt.

1. Was ist antideutsch?

Nach der „Maueröffnung“ am 9. November 1989 befand sich ganz Deutschland in einem nationalen Taumel. Dieser äußerte sich unmittelbar nach dem Fall der Mauer zunächst bei nationalistischen Jubelfeiern, später dann zunehmend durch rassistische Pogrome und Wahlerfolge der extrem rechten Republikaner. Anlass zum Jubel gab es aus deutscher Sicht zur Genüge: Das Land, das als Konsequenz zweier verlorener Weltkriege 40 Jahre lang geteilt war, wurde quasi über Nacht zum bevölkerungsreichsten und wirtschaftlich stärksten Land in Europa und war auf dem besten Weg, sich zu einer globalen Großmacht zu entwickeln.
In dieser Situation fand am 12. Mai 1990 in Frankfurt am Main eine der größten explizit linksradikalen Demonstrationen in der Geschichte der Bundesrepublik statt. Unter der vom organisierenden Bündnis Radikale Linke ausgegebenen Parole „Nie wieder Deutschland“ gingen damals bis zu 20 000 Menschen auf die Straße, um gegen die bevorstehende Vereinigung der beiden deutschen Staaten zu demonstrieren. Die Proteste gegen die „Wiedervereinigung“ stellten so etwas wie die Geburtsstunde der späteren Antideutschen dar.
Die Demo in Frankfurt wurde neben diversen autonomen und kommunistischen Kleingruppen und Teilen der Grünen Partei maßgeblich auch von der so genannten Minderheitsfraktion des Kommunistischen Bundes (KB) getragen, die später das antideutsche Zeitschriftenprojekt Bahamas ins Leben rief. Der KB war in den 70er und 80er Jahren eine der einflussreichsten K-Gruppen in der BRD. Eine wesentliche ideologische Besonderheit des KB war die von ihm vertretene These der Faschisierung von Staat und Gesellschaft in der BRD. Im Gegensatz zu den meisten anderen kommunistischen Gruppen in Deutschland, die in der ökonomischen Krise die Hinwendung der Massen zum Kommunismus erwarteten, vertrat der KB die Ansicht, dass aufgrund spezifischer historischer, sozialer, ökonomischer und politischer Verhältnisse in Deutschland eher ein Wiedererstarken des Faschismus zu befürchten sei.
Die Faschisierungsthese gewann Anfang der 90er Jahre erneut an Aktualität, als die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU, FDP und SPD als Reaktion auf die rassistischen Pogrome im „wiedervereinigten“ Deutschland eine drastische Einschränkung des Asylrechts beschlossen. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Zivilgesellschaft und offizielle Politik dem rassistischen Mob weniger hilflos als vielmehr verständnisvoll-affirmativ gegenüberstanden, schien für viele Linke ein neuer Faschismus nur noch eine Frage der Zeit zu sein.

Antisemitismusdebatte
Zeitgleich mit dem Protest gegen die „Wiedervereinigung“ und der Entstehung explizit antideutscher Tendenzen in der autonomen Szene rückte auch die Kritik an einer traditionell als selbstverständlich angesehenen Position, der Palästinasolidarität, wieder in den Fokus der innerlinken Debatte.
Für die westdeutsche Mehrheitslinke war es in den 70er und 80er Jahren mehr oder weniger selbstverständlich, Israel als faschistischen Staat und imperialistischen Aggressor zu denunzieren und sich mit der palästinensischen „Befreiungsbewegung“ zu solidarisieren. Besondere Brisanz erhielten solche Zuschreibungen vor dem Hintergrund, dass die Linke in einem Land, in dem niemals ein personeller Bruch mit der NS-Vergangenheit stattgefunden hatte, gerade den jüdischen Staat zu ihrem vorrangigen Hassobjekt erklärt hatten.
Kritik an dieser Form linker Palästinasolidarität wurde daher schon sehr früh geübt, von bürgerlicher Seite, aber auch von Linken, insbesondere aus dem Umfeld des Frankfurter Instituts für Sozialforschung. Im Laufe der 80er Jahre wurde die Thematik des Antizionismus bzw. des linken Antisemitismus verstärkt auch in der autonomen Szene diskutiert. Den Anlass hierzu gaben neben zahlreichen israelsolidarischen Veröffentlichungen beispielsweise der Freiburger Initiative Sozialistisches Forum (ISF) oder Texten in der Zeitschrift KONKRET, auch weltpolitische und innerpalästinensische Entwicklungstendenzen. So fiel es immer größeren Teilen der linkssozialistisch und feministisch geprägten autonomen Szene schwer, sich weiter mit einer „Volksbefreiungsbewegung“ zu solidarisieren, in der zunehmend religiöse und antikommunistische Kräfte an Einfluss gewannen; zumal nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion der palästinensische „Befreiungskampf“ nur noch schwerlich als Teil oder Schauplatz der erhofften Weltrevolution gelten konnte.
Tagespolitischer Anlass dieser neuerlichen Auseinandersetzung um den Nahostkonflikt zu Beginn der 90er Jahre waren die militärischen Ereignisse im Vorfeld des ersten Golfkriegs 1990/91. Mit Kriegsbeginn im Januar 1991 ließ der irakische Diktator Saddam Hussein Israel, das nicht militärisch in den Konflikt involviert war, mit 39 Scud-Raketen angreifen und drohte zugleich mit weiteren Schlägen gegen den jüdischen Staat, auch mit chemischen Waffen.
Während sich diejenige Fraktion der westdeutschen Linken, der die Ablehnung der „Wiedervereinigung“ gemein war, zu diesem Zeitpunkt meist als Antinationale bezeichneten (bzw. die Begriffe antideutsch und antinational auch weitgehend synonym verwendet wurden), differenzierten sich die beiden Strömung in der Diskussion um den Krieg und das Existenzrecht Israels deutlich aus. Im Gegensatz zu den Antinationalen, die den besagten Krieg mehrheitlich aus einer antimilitaristischen Grundsatzhaltung heraus ablehnten, vertraten viele Antideutsche hier eine Position, die mit den Prinzipien der Neuen Linken nach 1968 in unvereinbar schien. So schrieb Wolfgang Port, Autor der Zeitschrift KONKRET und einer der Vordenker der antideutschen Linken:
„Man fasst es einfach nicht, dass in Israel Auschwitzüberlebende mit der Gasmaske nachts unter Sirenenalarm in den Schutzraum flüchten müssen, während die Kinder und Enkel der Massenmörder von einst hier gemütlich über das Verhältnis von erster und vierter Welt räsonieren oder sich fröhlich auf der Bonner Hofgartenwiese tummeln und nicht die Verteidigung der Bedrohten, sondern Frieden mit einem Aggressor fordern.“
Die Antideutschen betonten in der Folge insbesondere in den Zeitschriften Bahamas und KONKRET nachdrücklich das Recht Israels auf militärische Verteidigung. Zudem vertraten Teile der antideutschen Linken den Standpunkt, dass in Zeiten, in denen weder die kommunistische Weltrevolution noch das realsozialistische Modell des Ostblocks als Option zur Verfügung stünden, die bürgerliche Gesellschaft gegen ihre völkischen oder islamistischen Feinde -notfalls auch militärisch- verteidigt werden müsste.
Diese Positionen verfestigten sich in der innerlinken Diskussion um die Kriege in Afghanistan (2001) und im Irak (ab 2003) weiter. Entgegen den Anschuldigungen ihrer linken Gegner standen für die Mehrheit der Antideutschen aber weniger die Forderung nach einem Angriff auf den Irak als vielmehr die Kritik am „Wie“ der europäischen Friedensbewegung im Mittelpunkt. Besonders in den Fokus antideutscher Kritik gerieten dabei in den letzten Jahren die Teile der Friedensbewegung, die sich mehr oder weniger offen mit dem islamistischen Terror gegen Nicht- oder Andersgläubige, Frauen und Homosexuelle solidarisierten.

Entgegen der bis in die Mitte der 90er Jahre für einen Großteil der frühen Antideutschen identitätsstiftenden Erwartung konnte sich in der „wiedervereinigten“ Bundesrepublik kein neuer Faschismus etablieren. Stattdessen ist es der rot-grünen Bundesregierung seit 1998 gelungen, die Gegnerschaft zum historischen NS zum integralen Bestandteil eines neuen BRD-Patriotismus zu machen, wie der so genannte „Aufstand der Anständigen“ im Sommer 2000 eindrucksvoll gezeigt hat. Selbst das Führen von Angriffskriegen, wie 1999 gegen Serbien, wurde von Rot-Grün „antifaschistisch“ begründet. So gelte es im Kosovo „ein zweites Auschwitz“ zu verhindern wie der Alt-68er und damalige Außenminister Joschka Fischer es formulierte.
Die Faschisierungsthese des Kommunistischen Bundes muss daher bis auf weiteres als widerlegt angesehen werden. Die Gruppen und Fraktionen in der Linken, die heute unter dem Label antideutsch firmieren, eint jedoch neben der Kritik am islamischen und linken, „antizionistischen“ Antisemitismus weiterhin die These, nach der eine spezifisch deutsche Ausprägung von Kapitalismus und Nationalismus mehr oder weniger konsequent von den Ursprüngen der Nationalbewegung im 19. Jhdt. nach Auschwitz geführt habe.

2. Nationalismus

Entgegen den Vorstellungen vieler Nationalisten sind Nationen, genauer gesagt Nationalstaaten, nichts Naturwüchsiges oder Überhistorisches. Der erste europäische Nationalstaat entstand Ende des 18. Jahrhunderts in Frankreich durch eine bürgerliche Revolution und löste damit die absolutistische Monarchie als Staats- und Herrschaftsform ab. Die Legitimationsbasis des neuen Staates bildete die Nation (also die Gesamtheit der Staatsbürger) und nicht mehr der Wille Gottes, auf den sich die Monarchen berufen hatten.
Der Nationalstaat war von Beginn an ein Klassenstaat. Er entstand in der Folge einer Revolution, die vom französischen Bürgertum angeführt wurde und in der die ökonomischen und politischen Interessen der bürgerlichen Klasse durchgesetzt wurden. So war im frühen Nationalstaat die Bildung von Gewerkschaften verboten und das Wahlrecht an Besitz und Einkommen gebunden. Vor allem aber garantiert der bürgerliche Nationalstaat (und das macht bis heute seinen Klassencharakter aus) das Recht auf Privateigentum.
Aus diesem Grund geriet der Nationalstaat schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in die Kritik der Arbeiterbewegung, deren kommunistischer Teil die Abschaffung des Privateigentums, die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und die Diktatur des Proletariats als Voraussetzungen für eine staaten- und klassenlose Gesellschaft verstand. Auch heute bringen viele Linke mit dem Nationalismus (zu Recht) Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Verbindung (Auch wenn diese Phänomene nicht notwendig aus der Struktur des Nationalismus hervorgehen sind die Korrelationen offensichtlich).
Nichtsdestotrotz gilt es anzuerkennen, dass die bürgerliche Revolution 1789 in Frankreich eine Reihe politischer Freiheiten hervorgebracht hat, die überhaupt erst die Voraussetzung für eine kommunistische Gesellschaft darstellen. (Beispielsweise Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit sowie bürgerliche Rechtsverhältnisse, die erstmals den Einzelnen vor der absoluten Willkür des Souveräns, also des Staates, schützten.)

Deutscher Nationalismus
Im deutschsprachigen Raum entstand ein von relevanten Bevölkerungsteilen getragener Nationalgedanke erst einige Jahrzehnte später (1820er Jahre). Im Gegensatz zur Revolutionssituation in Frankreich spielten dabei in Deutschland die politischen und ökonomischen Interessen des Bürgertums keine herausragende Rolle.
Vielmehr war die Gegnerschaft zur napoleonischen Besetzung des Rheinlands der gemeinsame Nenner der deutschen Nationalisten. Damit ist schon ein bezeichnender Strukturunterschied in der Entstehungsgeschichte dieser beiden Nationalismen genannt, denn im Gegensatz zum französischen richtete sich der deutsche Nationalismus in seiner Entstehung gegen einen äußeren Feind. Bedingt durch diese spezifische historische Situation, in der sich ein deutscher Nationalismus erstmals in relevanten Bevölkerungsteilen ausbreiten konnte, zog sich die Frankophobie (also der Franzosenhass) bis 1945 wie ein roter Faden durch die Geschichte des deutschen Nationalismus. Dieser Franzosenhass richtet sich aber nicht nur gegen die Besatzer als solche, sondern stets auch gegen das Gesellschaftskonzept, dass mit dem konstitutionellen Frankreich in Verbindung gebracht wurde. Gerade die erstmalige rechtliche Gleichstellung der Juden (die die französische Besatzung eben auch mit sich gebracht hatte) führte zu teils erbittertem Widerstand seitens der deutschen Nationalisten.
Eine wesentliche Grundlage des Antisemitismus der deutschen Nationalisten bildete (und bildet bis heute) ihr völkisches Verständnis der Nation. Anders als in Frankreich definierte die Mehrheit der Nationalisten in Deutschland die Nation nicht als Gesamtheit der Staatsbürger, sondern als kulturelle Einheit (bezogen auf Sprache und (protestantisch-)christlichen Glauben) und später zunehmend als Ethnie bzw. Rasse. Dieser Logik folgend konnten die Juden nicht zur Nation gehören, also keine Deutschen sein.
Der Antisemitismus bildet somit neben der Frankophobie eine zweite Kontinuitätslinie im deutschen Nationalismus.
Diese These vertritt auch der US-Amerikanische Politikwissenschaftler Daniel J. Goldhagen, der durch die Studie Hitlers willige Vollstrecker Mitte der 90er Jahre eine relativ breit rezipierte Diskussion um die Beteiligung der deutschen Bevölkerung an der Judenvernichtung entfachte. (Goldhagen war weder der einzige noch der erste Vertreter dieser Thesen, sicherlich aber der bekannteste und meist beachtete unter ihnen.)
Er kommt in seinem Buch zu dem Schluss, dass die Vernichtung der Juden im Dritten Reich mit Beteiligung und Zustimmung weiter Bevölkerungsteile von statten ging und auf einem seit Beginn des 19. Jahrhunderts in der Gesellschaft verankerten Antisemitismus basierte.
Es waren […] die immer gleichen Vorstellungen und Bilder von den Juden, die bereits zum Zeitpunkt der Machtübernahme Hitlers den Deutschen eigen waren und diese dazu brachten, den antisemitischen Maßnahmen der dreißiger Jahre zuzustimmen und sie zu unterstützen. Mehr noch: Sie bereiteten nicht nur all jene, die durch die Umstände, durch Zufall oder in freier Entscheidung zu Tätern wurden, auf ihre Aufgabe vor, sondern sie veranlassten auch die große Mehrheit der Deutschen, die totale Vernichtung des jüdischen Volkes zu verstehen, ihr beizupflichten und sie nach Möglichkeit zu fördern. Man muss den Tatsachen ins Auge sehen: Die deutsche Politik und Kultur hatte sich bis zu einem Punkt entwickelt, an dem die meisten Deutschen hätten werden können, was eine ungeheure Zahl ganz gewöhnlicher Deutscher tatsächlich wurde: Hitlers willige Vollstrecker.

Fazit
Ausgangspunkt unserer Betrachtung zur Spezifik des deutschen Nationalismus ist die Vernichtungspolitik gegenüber der jüdischen Bevölkerung im Dritten Reich.

1. Diese Vernichtungspolitik stellt aus unserer Sicht die größte Barbarei der Menschheitsgeschichte dar: Dabei geht es uns nicht nur um die Quantität also das Ausmaß der Vernichtung. Was die Shoa, also den Holocaust historisch so einmalig macht ist auch die Tatsache, dass (zumindest gegen Ende des Krieges) ein Großteil der Volkswirtschaft nur noch auch die Vernichtung der Juden ausgerichtet war. Unter hohem finanziellen und organisatorischen Aufwand wurden die Juden in ganz Europa verfolgt und in Lager transportiert, die einzig und allein zur Vernichtung menschlichen Lebens bestimmt waren. Es spielte keine Rolle, ob die Betroffenen arm oder reich, links oder rechts, gläubig oder nichtgläubig waren. Das beweist, dass es bei der Verfolgung der Juden nicht um das Verdrängen eines politischen Gegners oder eines religiösen Widersachers ging. Die Vernichtung der Juden war ein Selbstzweck. Das ist in diesem Ausmaß historisch einmalig.

2. Ebenfalls historisch einmalig ist die Rolle der Zivilbevölkerung. Wie zahlreiche historische Studien belegen, war eine große Mehrheit der deutschen mit der Judenvernichtung zumindest einverstanden, viele beteiligten sich sogar daran. In keinem anderen Land war der Widerstand gegen ein faschistisches Regime jemals so gering wie in Deutschland.

3. Der Antisemitismus zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des deutschen Nationalismus. Schon die Ursprünge der deutschen Nationalbewegung in den 1820er Jahren waren antisemitisch motiviert. Anders als beispielsweise in Frankreich oder den USA wurde die Nation in Deutschland meist völkisch definiert, also über die gemeinsame Abstammung und eine angeblich rassische Verwandtschaft. Diese Vorstellung bildet bis heute die Grundlage für den Rassismus und Antisemitismus der Deutschen.

Der Holocaust wurde in Deutschland von Deutschen initiiert, geplant und umgesetzt. Wenn man die eben vorgetragenen Fakten berücksichtigt, wird klar, dass das weder ein Zufall noch ein Unfall war. Deswegen wenden wir uns gegen jede Form von deutschem Nationalismus; auch dann, wenn er demokratisch daherkommt und sich Patriotismus nennt.

3. Warum wir solidarisch mit Israel sind

Ein häufiger Einwand gegen die Solidarität mit Israel ist das Argument, Israel unterscheide sich nicht von anderen Staaten: Israel ist ein kapitalistischer Staat mit Militär, Grenzen, Gefängnissen usw. Als antinationaler Linker sei die Forderung nach der Abschaffung Israels nur konsequent.
Im folgenden Beitrag soll es nicht um die Verteidigung und eine Lobeshymne des ökonomischen, politischen oder militärischen Systems Israels gehen. Es geht uns darum, weshalb wir das Bestehen Israels eben trotz seines kapitalistischen Systems, trotz seiner Grenzen, Gefängnissen, Militärs usw. für zwingend notwendig halten. Wir sind grundsätzlich gegen Nationen. Nur steht Israel auf der Liste der Staaten in der Reihenfolge ihrer Abschaffung eben ganz unten. Um das zu begründen als erstes ein kurzer Überblick über die Notwendigkeit der Gründung eines Staates Israel.

Die Gründung Israels
Der Staat Israel wird erst 1948 gegründet. Dem gingen fünf große Auswanderungswellen voran, die letzte nach Kriegsende aus Deutschland. Die Juden, die in erster Linie aus Europa auswanderten, flüchteten vor Pogromen, antisemitischer Gesetzgebung, Anfeindungen, Ausschreitungen. Dass sie ausgerechnet nach Palästina auswanderten, liegt daran, dass Palästina in der Vorstellung immer das gelobte Land geblieben ist, die Heimat jüdischer Kultur, Religion und Sprache. Es hatte natürlich auch damit zu tun, dass die flüchtenden Juden hofften, in dem Land, aus dem ihre Vorfahren ursprünglich kamen, nicht mehr unter Diskriminierung und Verfolgung leiden zu müssen, sondern als Einwohner anerkannt zu werden.
Während den ersten Auswanderungswellen gibt es mit den ansässigen arabischen Palästinensern kaum Probleme, da z.B. die Gründung der Stadt Tel Aviv für viele der dort lebenden Nomaden und Bauern Zugang zu medizinischen Einrichtungen und Bildung ermöglichte. Aber ab den 20ern wurde die Situation problematisch.

Der Beginn des Nahost-Konfliktes
Ende 1920 griffen erstmalig im großen Stil ‚Moslem-Bruderschaften‘ (eine islamisch-fundamentalistische Bewegung, die den bewaffneten Kampf gegen Andersgläubige und Atheisten propagierten) mit Unterstützung durch die ägyptische Regierung jüdische Siedlungen an. Wenige Jahre später rief der Großmufti von Jerusalem, al-Husseini, dazu auf, die „Juden zurück ins Meer zu treiben“. In den 30ern reiste er nach Berlin und plante gemeinsam mit Hitler die Vernichtung aller jüdischen Siedler im „Großraum Ägypten“, er kritisierte die „zu schüchterne“ Vorgehensweise bei der Vernichtung der Juden in Deutschland.
Hier ging es neben dem extremen Antisemitismus auch um die Angst, die vornehmlich jungen Siedler der ersten und zweiten ‚Alijah‘, also Auswanderungswelle, könnten mit dem Gedanken des Zionismus auch den Sozialismus in die Nachbarschaft tragen. Hintergrund war die Tatsache, dass sich vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs größtenteils junge Jüdinnen und Juden in sozialistisch/kommunistisch geprägten Gruppen trafen, ihre Auswanderung planten und später in Israel die sozialistischen Modellprojekte der ‚Kibbuzim‘, den Siedlungen mit gemeinsamem Einkommen und basisdemokratischen Strukturen gründeten. Kommunisten und Sozialisten mochten aber sowohl der Großmufti als auch ägyptische Regierung genauso wenig wie Juden.
Nach dem Ersten Weltkrieg stand Palästina unter dem britischen Mandat. Während der vierten großen Auswanderungswelle, in der Juden, so sie noch konnten, aus dem nationalsozialistischen Deutschland flüchteten, schlugen die Briten einen Kompromiss vor: Die Teilung des Landes, bei dem einwandernden Juden untersagt würde, mehr als 20% der Fläche Palästinas zu besiedeln. Die Vertreter der palästinensischen Fraktion lehnten ab, da sie „die jüdische Präsenz generell als Provokation“ (al Husseini) empfinden würde. Hier wird deutlich: Das war kein Antikolonialismus, das war keine Sorge um das eigene Feld, sondern übelste Blut-und-Boden-Ideologie gepaart mit Antisemitismus. Es ging nicht gegen die eigentlichen Besatzer, die Briten, sondern gegen die Juden.

Die Staatsgründung
Nach 1945 setzte die letzte und größte Auswanderungswelle aus Deutschland und den ehemals besetzten Ländern ein. Die Überlebenden des Holocaust, die ihren Besitz und oft ihre Familien in den deutschen Konzentrationslagern verloren hatten, wollten nicht in Deutschland bleiben. Sie versuchten verzweifelt, damals gegen die britische Besatzungspolitik in Palästina, das Land, von dem sie sich Schutz erhofften, zu erreichen. Hier wird die wichtigste Motivation der Staatsgründung deutlich: Eine Zufluchtsstätte vor antisemitischen Verfolgungen und die Möglichkeit, sich in einem eigenen Staat mit einer eigenen Armee gegen jede Möglichkeit eines antisemitisch motivierten Angriffs wehren zu können statt auf die Hilfe anderer zu hoffen und dem Vernichtungswillen der Angreifer hilflos ausgeliefert zu sein.
1948 lief das britische Mandat für Palästina aus und am selben Tag rief David Ben Gurion den Staat Israel aus. Die UN erkannte den Staat an, nachdem die palästinensischen Vertreter erneut ein Teilungsangebot abgelehnt hatten.
Am Tag nach der Staatsgründung wurde Israel von sechs Armeen der arabischen Liga (Ägypten, Irak, Libanon, Saudi-Arabien, Syrien und Transjordanien) angegriffen. In diesem und den folgenden Kriegen (z.B. als Israel am Versöhnungstag ‚Jom Kippur‘ von Ägypten und Syrien angegriffen wird oder im Golfkrieg von Seiten des Irak, obwohl Israel nicht in den Krieg involviert war) wird noch einmal klar: Es geht nicht mal ‚nur‘ um das Land, sondern um die Vernichtung des jüdischen Volkes. Als der neue ägyptische Präsident al-Sadat Verhandlungen mit der israelischen Regierung anstrebt, wird er von der Moslem-Bruderschaft als Verräter bezeichnet und ermordet.
Pläne, die Palästina und Israel jeweils einen eigenen Staat zusprechen, werden bis heute von palästinensischer Seite immer wieder abgelehnt. Deutlich wird diese Ungleichheit der Kompromisswilligkeit z.B. 2001 in ‚Camp David‘: Das Angebot seitens Israels, den Flüchtlingen beider Seiten die Rückkehr zu erlauben wurde von Arafat, dem Vertreter der palästinensischen Fraktion mit der Begründung abgelehnt, er habe kein Interesse an Juden in irgendeinem europäischen Land, er wolle die Juden „komplett aus dem Haus haben“.

Der Konflikt und die deutsche Linke
Das, was aus Sicht der deutschen Linken übrigbleibt, sind nicht die verzweifelte Situation der Holocaustüberlebenden und ihrer Nachkommen, die ständig abgeschmetterten Kompromisslösungen, der extreme Antisemitismus. Was im Kopf bleibt, ist das Bild des israelischen Panzers, auf den ein Kind einen Stein wirft – damit sind die Rollen klar verteilt, das Böse in Form des technisch aufgerüsteten gewissenlosen Israelis und des hilflosen, sich nur mit Steinen wehrenden Kindes. Die Solidarisierung mit den Unterdrückten, die unter dem israelischen Terror leiden, scheint auf der Hand zu liegen.
So einfach ist es aber nicht. Fest steht, dass es sich im Nahen Osten um eine Kriegssituation handelt und im Krieg Soldaten, Zivilisten, Kinder umgebracht, Kriegsverbrechen und Folterungen stattfinden. Solche Taten sind immer verurteilenswürdig. Aber die Situation ist komplexer, als die mediale Berichterstattung suggeriert.
In den Medien sieht es so aus, als kämpften schwerbewaffnete Soldaten gegen unschuldige Zivilisten. Das Problem ist aber, dass die Soldaten der PLO, Hamas, Fatah usw. keine Uniform tragen. Wenn sie als Heckenschützen Israelis erschießen, aus einem Wohngebiet Raketen aus israelischen Siedlungen abfeuern, dann stehen sie danach auf und sind wieder Zivilisten. Das macht eine militärische Gegenaktion schwer. Zum Beispiel wird in der aktuellen Situation die Boykottmaßnahme Israels gegen die palästinensischen Autonomiegebiete im Gazastreifen als ‚Aushungern der Bevölkerung‘ kritisiert. Das Problem ist aber: Aus diesen Gebieten werden täglich Raketen auf israelische Siedlungen abgefeuert, die israelische Bevölkerung lebt in Bunkern, die Schulen, Kindergärten, Läden usw. müssen schließen. Welche Möglichkeit hat die Anwohner, hat Israel, sich dagegen zu wehren? Eine militärische Aktion gegen die Autonomiegebiete verbietet sich, da davon etliche Zivilisten betroffen wären. Ein Warenboykott bis zum Stopp der Angriffe, der sich übrigens nicht auf Lebensmittel, sondern auf sonstige Waren bezieht, ist sicher keine optimale Lösung, aber gerade das einzige Druckmittel, das Israel zur Verfügung steht.

Die Kritik der Solidarität mit Palästina:
Es gibt in der deutschen Linken keine nennenswerten Gruppen, die sich als Antisemiten bezeichnen. Die meisten sind halt anti-Israel oder Antizionisten, die salonfähige Form des Antisemitismus. Als solche solidarisieren sie sich nicht mit fanatischen Terroristen, sondern der Einfachheit halber mit dem abstrakten „unterdrückten Volk
Mit wem erklärt man sich eigentlich solidarisch, wenn man von Solidarität mit ‚den Palästinensern‘ spricht? Oder wenn auf Demos ‚Nie wieder Israel‘ gerufen, vom Lautsprecherwagen Quetschenpauas ‚Palästina, dein Volk wird siegen irgendwann‘ gespielt oder auch nur aus politischen Gründen Pali-Tücher getragen werden?

Solidarität mit den ‚unschuldigen Opfern‘?
Die erste Möglichkeit ist, die eigene Solidarität soweit einzugrenzen, dass der Begriff sinnlos wird. Jeder wird sich im Zweifelsfall mit dem kleinen palästinensischen Kind oder der alten Frau, die bei einem israelischen Luftangriff getötet werden, solidarisch erklären. Doch das ist eher berechtigtes Mitleid als Solidarität. Aber auch hierbei stellt sich die Frage, warum innerhalb der deutschen Linken so viel über die Solidarität mit diesen (zivilen) palästinensischen Opfern des Konflikts gesprochen wird und die israelischen Zivilisten, die palästinensischen Aggressionen zum Opfer fallen, ausgeblendet werden. Auch auf israelischer Seite gibt es nicht ‚nur‘ tote Soldaten, sondern auch die Opfer der palästinensischen Raketenangriffe und der Selbstmordattentäter. Letztere wollen gezielt Zivilisten töten und jagen sich deshalb bevorzugt an Bushaltestellen, Diskos, Kneipen, am Strand oder in Einkaufszentren in die Luft. Selbstmordattentäter sind keine verzweifelten Jugendlichen mit Steinen, es sind religiöse Fundamentalisten und Antisemiten, die jüdische Kinder, Männer, Frauen umbringen.
Im Falle einer militärischen Offensive von israelischer Seite gibt es in Israel viele kritische Gruppen, die gegen das militärische Vorgehen ihres Staates protestieren. Wenn ein Palästinenser sich in einer Disko in die Luft jagt, gibt es in den palästinensischen Autonomiegebieten keine Proteste, keine Solidaritätskundgebungen, keine Friedensdemos oder Beileidbekundungen. Da gibt es Straßenfeiern, weil wieder ein paar Juden tot sind.

Intifada-Solidarität
Die zweite Möglichkeit der solidarischen Identifikation ist die Solidarität mit der Intifada, d.h. die sogenannten „Volksaufstände“. Hartgesottene fordern damit den ‚palästinensischen Sieg‘ und damit bewusst, das ist für alle führenden palästinensischen Gruppen nach Eigenaussage die einzige Möglichkeit, die Vernichtung Israels. Weniger extreme Vertreter der Intifada-Solidarität äußern sich zu diesem Problem nicht, solidarisieren sich aber in ihrem naiven Versuch, sich durch die Solidarität mit dem abstrakten „palästinensischen Volk“ zwangsläufig auch mit den Initiatoren und führenden Kräften dieser „Aufstände“ – außer es bleibt bei bloßem Mitleid. Die Liste der möglichen Solidaritätsgewinner ist jedoch ebenso kurz wie indiskutabel:
Die Hamas ist der Nachfolger der Moslem-Bruderschaft. Sie hat, so ihre Charta, die Beseitigung Israels zum Ziel, lehnt jede Kompromiss- (also Zweistaaten-)Lösung ab, plant und führt die meisten Selbstmordattentate durch und hat noch 2001 in einer offiziellen Stellungnahme den Holocaust als Erfindung der Juden bezeichnet.
Die Fatah fordert in ihrer Verfassung von 1964 die „Ausrottung der ökonomischen, politischen, militärischen und kulturellen Existenz des Zionismus“. Ihre Al-Aqusa-Brigaden, nach dem Tod Arafats in Jassir-Arafat-Märtyrer-Brigaden umbenannt, schulen Selbstmordattentäter und lynchen gezielt sowohl gefangene israelische Soldaten als auch vermeintliche und wirkliche Deserteure aus den eigenen Reihen.
Die PLO (Palästinensische Befreiungsorganisation) vereint mehrere kleinere Gruppen und gilt in den Kreisen der Hamas als Verräter, da ihr damaliger Präsident Arafat und der jetzige Mahmut Abbas, nicht generell Verhandlungen mit der israelischen Regierung ablehnen. Dies erscheint jedoch vor dem Hintergrund der Forderungen und Taten der PLO als Hohn: Die PLO fordert ebenso wie die Hamas die Vernichtung Israels und reklamiert einen alleinigen Besitzanspruch auf palästinensische Gebiete. Sie ist verantwortlich für eine große Zahl an Anschlägen und Selbstmordattentaten, von den Anschlägen auf Schulbussen israelischer Kinder in den 60ern, den Geiselnahmen und Ermordungen israelischer Teilnehmer der Olympischen Spiele in den 70ern, die Planung und Durchführung von terroristischen Anschlägen während der 2. Intifada bis hin zur aktuellen Lage, in der die PLO die Familien von Selbstmordattentätern finanziell belohnt und ihnen ihren Dank ausspricht. Zudem unterhält die PLO im Libanon Gefängnisse für Palästinenser, die den ‚Befreiungskampf‘ nicht persönlich oder finanziell unterstützen wollen.

Weitere Ziele palästinensischer Gruppen
Auch abgesehen von den terroristischen Aktionen und dem extremen Antisemitismus scheint sich kaum ein Vertreter der Palästina-solidarischen Fraktion in Deutschland dafür zu interessieren, mit welchen Gruppen (und deren Zielen) er sich solidarisch erklärt. Bei allen genannten Gruppen (die Fatah versucht als einzige, Sympathien im sozialistischen Lager anderer Länder zu sammeln) handelt es sich um religiöse Fundamentalisten mit dem Ziel des Dschihad, des heiligen Kriegs. Radikal islamische Gruppen sind – wie übrigens jede fundamentalistische Ausprägung von Religionen – extrem anti-emanzipatorisch. Hamas, Fatah, PLO, Islamischer Jihad usw. sind Gruppen, die durch einen extremen Sexismus, Homophobie und Brutalität im Umgang mit abweichendem Verhalten geprägt sind. Die Gruppen, mit denen sich deutsche Linke gern solidarisieren wollen, handeln größtenteils nach der fundamentalistischen Gesetzesgrundlage der ‚Scharia‘: Homosexuelle dürfen gesteinigt, Frauen geschlagen, die Opfer von Vergewaltigungen wegen Ehebruchs ausgepeitscht und Mädchen zwangsverheiratet werden. Kopftücher oder komplette Verhüllungen für Frauen sind Pflicht, die Bildung wird für die, denen ein Zugang weiter ermöglicht ist, zur religiösen, jeden wissenschaftlichen Anspruch verteufelnden Schulung.
Das sind die Ziele der Gruppen, mit denen man sich solidarisiert, wenn man z.B. auf Demos ‚Antifada‘ oder ‚Hamas‘ brüllt, denn es sind eben die Organisationen, die Einfluss haben.

Zum Schluss
Israel muss bestehen bleiben, weil es zum Schutz von Jüdinnen und Juden existiert. Palästinensischen Kräften geht es in erster Linie nicht um „ihr Land“ – und schon das ist ja fragwürdig genug – sondern um Antisemitismus. Die Kämpfer, z.B. die Selbstmordattentäter, kommen meist aus ökonomisch gutgestellten Familien. Terror gegen Israelis ist keine Frage der Armut, sondern des Antisemitismus.

4. Warum wir keine Antiamerikaner sind

Begriff des Antiamerikanismus
Die Selbstbezeichnung als ‚antiamerikanisch‘ gehört in der deutschen Linken fast überall zum guten Ton. Egal, ob man sich auf die angebliche Führerstellung der USA im kapitalistischen System, den vermeintlichen Imperialismus, den noch häufiger beschworenen ‚Kulturimperialismus‘, McDonalds oder die Regierung bezieht, egal, ob man Bush mit Hitler vergleicht oder sich über das Vorurteil der dicken US-Bürger lustig macht: US-Amerikaner als dumm, faul, ungebildet, dreist und selbstgerecht zu bezeichnen ist eins der wenigen rassistischen Klischees, die in der deutschen Linken gang und gebe sind. Dass die Selbstbezeichnung als ‚antitürkisch‘, ‚antiitalienisch‘ oder ‚antischwedisch‘ die berechtigte Vorhaltung, man sei ein Nazi oder einfach jenseits von Gut und Böse zur Konsequenz haben würde, bleibt davon unangefochten. Warum trifft dies eigentlich auf den Antiamerikanismus nicht zu?

Wir gegen die USA
Die Welt wird, das trifft auch für die meisten Linken zu, gern der Einfachheit halber in ‚gute Staaten‘ und ‚böse Staaten‘ aufgeteilt. Die USA gilt dabei auf jeden Fall als ‚böser Staat‘, teilweise erweckt die Diskussion in der Linken sogar den Eindruck, als sei sie der Hort allen Übels. Andere Länder wie zum Beispiel der Irak oder Iran (obwohl von verrückten Fundamentalisten regiert), Schweden, Italien, Japan oder die Türkei (obwohl ebenso kapitalistisch) sind grundsätzlich weniger zu kritisieren als die USA. Darüber ist sich fast ganz Deutschland einig, auch, wenn sich die Linke gern allein im Duell gegen den vermeintlichen Hauptgegner sehen würde. Aber die Ökos, Antikapitalisten, G8-Kritiker, Antiimperialisten, Grüne, Linkspartei, CDU, Friedensvereine und Nazis streiten vereint gegen alles, wofür die USA aus Sicht des Deutschen so steht:
Die Verrohung der Sitten, schlechtes amerikanisches Fernsehen, die Geldgier der Wallstreet Banker, die Land-und-Öl-Gier der Regierung, das moralisch schwache, aber technisch leider völlig überlegene Militär, die nur auf wirtschaftliche Interessen bedachte Außenpolitik und so weiter. Eine Differenzierung zum Beispiel nach politischer Zugehörigkeit, Klasse, Herkunft, Einflussmöglichkeit etc. findet häufig überhaupt nicht mehr statt, obwohl sie auf der anderen Seite, insbesondere im Fall militärischen Vorgehens in Krisengebieten, massiv einfordert wird. Differenzierung würde erfordern, unterschiedliche Strömungen in einem Land wahrzunehmen, sich mit der Politik und dem System zu beschäftigen und im Anschluss in der Lage zu sein, Kritik an gesellschaftlichen Zuständen zu äußern ohne sich auf plumpen Antisemitismus zurück zu ziehen.
Besonders deutlich wird das Fehlen der rationalen Auseinandersetzung mit Kritik, wenn beim Antiamerikanismus eine offene Querfront entsteht. Ob ein ‚Aktionskomitee gegen Armut‘ bewusst rechte und linke Gruppen zum vereinten Protest gegen die USA aufruft oder die lokalen Nazis der ‚Aktionsgruppe Essen‘ versuchen, mit antikapitalistischer Ausrichtung G8-Kritiker abzufischen: Die Inhalte, die hinter dem Antiamerikanismus stecken, in diesem Fall der positive Bezug auf den Nationalsozialismus, werden kaum wahrgenommen. Antiamerikanismus ist damit nicht nur eine hoffähige Form des Rassismus, sondern auch zum Aktionismus-Konsens geworden.
Michael Moore hat einmal angemerkt, was statistisch bestätigt werden konnte: In keinem Land haben seine Filme, seine Bücher und Lesungen so einen Erfolg, wie in Deutschland. Deutschland ist sich offensichtlich halbwegs einig darüber, dass man ein Problem mit Amerika hat.
Aber warum man gerade in Deutschland so ein Problem mit den USA hat, ist nicht ganz klar. In den 70er und 80er Jahren bezog sich der Antiamerikanismus zum Teil auf die konkrete Politik der USA wie im Fall der Unterstützung der Folterregime in Nicaragua, Chile usw. Dennoch bleibt der Verdacht, dass damals und insbesondere heute nicht die verurteilenswerten historischen Aktionen der USA in Südamerika den Antiimperialisten und Micheal-Moore-Fan an den USA stört. Ursache des Antiamerikanismus ist die Tatsache, dass die USA als Sinnbild für alle verwerflichen Eigenschaften des Kapitalismus genommen wird.

Die USA als Projektionsfläche
Beliebte Thesen von Antiamerikanern zeichnen sich dadurch aus, dass sie relativ eindimensional sind. So z.B.:

„Die USA führen Vernichtungskriege, vor denen wir Angst haben müssen“ oder: „Bush is the worlds greatest terrorist“
Wer aber den Antiamerikanismus mit der Angst vor dem Krieg legitimiert, verschweigt, dass ihn meist nur die Kriege interessieren, an denen die USA beteiligt sind. Wer interessiert sich schon für die 2 Millionen Tote des Sudankriegs oder die Hundertausenden von Toten, die Husseins Regime umgebracht hat? Es geht hier nicht darum, die Leichen zu zählen, auch nicht darum, die USA von der konkreten Mitwirkung an Kriegen zu entlasten, sondern um die Frage, warum andere Teilhaber, Auslöser, Kriegstreiber ausgeblendet werden und sich so auf die USA fixiert wird. Dabei vergisst man unter anderem, dass es neben der Roten Armee die USA war, die dem Nationalsozialismus in Deutschland ein Ende bereitet hat. Oder auch, dass etliche andere Länder, nicht zuletzt Deutschland, Krieg forciert und geführt haben.
Bush als „greatest terrorist“ zu bezeichnen, geht noch ein bisschen weiter: die Schuldzuweisung reduziert sich von einem einzigen Land auf eine einzige Person, dem die Lust am Töten um des Töten willens unterstellt wird, der im Wechsel entweder als intelligenter, perfider Kriegstreiber oder als debiler Affe dargestellt wird. Beliebt sind auch Vergleiche von Bush und Hitler, die mit der Relativierung des Nationalsozialismus die Aggressivität des Antiamerikanismus auf die Spitze treiben.

Die USA sind DAS Synonym für Unterdrückung und Gewalt im eigenen Land
Die USA ist ein kapitalistisches Land und somit Schauplatz sozialer Ungerechtigkeit. Trotzdem ist es ein Land, in dem es sich im Vergleich, bei aller Kritik des kapitalistischen Systems, relativ gut leben lässt. Diese Relation bezieht sich nicht nur auf den Vergleich zu Bürgerkriegsstaaten wie Kenia, sondern auch darauf, dass schnell vergessen wird, dass in den USA nach langen Kämpfen Bürgerrechte existieren, von denen z.B. Menschen mit dunkler Hautfarbe in Teilen Ostdeutschlands nur träumen können, wenn sie von den Vertretern deutscher Leitkultur durch die Städte gejagt werden.

Die USA sind schuldig an Hunger und Armut weltweit
Fest steht, dass an der Grenze der USA zu Mexiko Menschen sterben, dass in den USA Menschen hungern usw. Trotzdem stellt sich die Frage: Wenn man das behauptet, dass die USA schuldig am weltweiten Hunger und weltweiter Armut sind, warum verschweigt man dann, dass z.B. unter Hussein Paläste gebaut wurden, obwohl Hungersnöte herrschten. Oder dass Menschen an den Grenzen der EU ersaufen, weil sie nicht an dem relativen Wohlstand der EU-Länder partizipieren sollen. Oder dass deutsche Firmen in Ostländern Leute zu einem Hungerlohn beschäftigen.

Die USA sind schuld am Werteverfall, der Kulturimperialismus zerstört unsere Kultur
Wer allen ernstes lieber Volksmusik als Pop oder Hip-Hop hört und statt den Simpsons oder Southpark lieber Marienhof oder den Bergdoktor guckt, soll beruhigt die Moderne als alleiniges Übel begreifen. Wer lieber auf nationale Identität und Leitkultur als auf Melting pot setzt, den kann man eh nicht überzeugen. „Man sollte nie hinter die Erkenntnis zurückfallen, dass es ohne die Internationalität des anglo-amerikanischen Kulturimports wahrscheinlich keinen Ausweg aus dem Kulturmief der Nachkriegszeit gegeben hätte. Elvis Presley war nicht umsonst kein Deutscher…“
(Spex, 08/93)
Machen wir uns nichts vor: McDonalds ist nicht kapitalistischer als H&M und IKEA als Beispiel für schwedischen Firmen, gegen die niemand etwas sagt. McDonalds ist auch nicht kapitalistischer als Wienerwald oder NIVEA oder Beate Uhse oder sonstige deutsche Exportprodukte.

Zum Schluss
Also ist die These, warum die USA so gehasst werden, dass sie eine Projektionsfläche sind für alle als negativ wahrgenommenen Tendenzen des Kapitalismus oder der Weltentwicklung generell. Die USA repräsentieren die Moderne mit allen Begleiterscheinungen. Antiamerikanismus ist damit meist auch Antimodernismus.
In der Folge halten viele es für legitim, ‚das Böse‘ auf die USA zu projizieren, statt den Kapitalismus als System zu kritisieren. Kurz: Es sind die kapitalistischen Verhältnisse, die trotz einer hohen Warenproduktion 80 % der Menschen in Armut halten. Die USA ist daran, an manchen Kriegen usw. mitbeteiligt, aber der springende Punkt ist: Die USA verteidigen weltweit ihre Interessen nach Sicherheit und bestmöglichem Wohlstand unter den gleichen Bedingungen und in ähnlicher Art und Weise, wie es andere Staaten, zum Beispiel die BRD tun.

5. Warum Nokia nicht der Hauptfeind…

Hier wird das Beispiel von NOKIA genommen, weil es sich dabei um einen aktuellen, relativ breiten Protest in unmittelbarer Nähe handelt. Die finnische Firma NOKIA hat seit ein paar Jahren einen deutschen Standort in Bochum, den sie jetzt nach Rumänien verlegen will. Der Protest der NOKIA-Arbeiter ist nur zu verständlich: Sie bekommen die unmittelbaren Auswirkungen des Kapitalismus zu spüren, sie verlieren ihre Arbeitsplätze und werden abhängig von dem Arbeitslosengeld II, das ein Leben unter menschenwürdigen Bedingungen nicht ermöglichen soll. Ihnen das Recht auf ihre Empörung oder auf den Protest abzusprechen, ein Desinteresse an der Lage der Menschen zu signalisieren, wäre zynisch.
Aber darüber hinaus, dass es da um konkrete Arbeitsplätze geht, halten wir den Umgang mit der Situation grundsätzlich für fragwürdig.
Es ist doch so, dass wir in einem kapitalistischen System leben. Das fällt nicht erst auf, wenn uns unser Arbeitsplatz gekündigt wird, das ist doch etwas, dem man sich nicht entziehen kann, was man tagtäglich merkt. Kapitalismus beinhaltet nun mal die Optimierung der Produktion, also die Optimierung der Quantität, Qualität und des Preises der Herstellung. Dazu gehört, dass sich Firmen dort ansiedeln, wo die Produktion am billigsten ist, weil die Leute dort kaum was verdienen, die Arbeitsbedingungen schlecht sind, es keine Gewerkschaften gibt (zumindest keine einflussreichen) usw.
Und das ist bei NOKIA offensichtlich der Fall: Die Produktionsbedingungen in Deutschland und in Bochum waren für die Firma offensichtlich günstig, weil es dort Subventionen gab und die Lohnnebenkosten nicht so hoch sind wie in Finnland. Also zieht ein großes Werk von Finnland nach Bochum – wogegen die finnische Bevölkerung übrigens protestiert hat. Bochum freut sich, statt sich mit den finnischen Arbeitern zu solidarisieren (etwas, was aktuell kurioserweise von den Finnen massiv eingefordert wird). Als ein paar Jahre später die Firma nach Rumänien gehen will, weil dort die Lohnnebenkosten noch niedriger sind und die Bedingungen – aus Firmensicht – noch besser, ist das ein klassisches Beispiel für den Kreislauf der Optimierung der Produktion im Kapitalismus.
Trotzdem ist der Protest groß, die im Kapitalismus völlig normale Entscheidung der Leitung von NOKIA auf einmal ein Skandal. Insbesondere die Politiker appellieren an die Menschlichkeit und beschwören die schlechte Situation der ehemaligen NOKIA-Arbeiter in Bochum. Dass die Lage für diese schlecht ist, soll nicht bestritten werden, nur sollte berücksichtigt werden, dass es VOR dem Wegzug von Teilen der Firma NOKIA aus Finnland ebenso schlecht für die Finnen, und NACH dem vielleicht bald anstehenden Wegzug der Firma aus Rumänien mit dem Ziel Chinas oder Bulgariens ebenso schlecht für die Rumänen aussehen wird.
Der einzige Grund, weshalb irgendein deutscher Politiker mit protestieren kann, ist Populismus: Man stellte den bösen Kapitalismus gegen den guten Kapitalismus.
Der böse Kapitalismus kommt in Form von Heuschreckenfirmen aus den USA oder als Subventionsdiebe aus Finnland. Der gute Kapitalismus kommt aus Deutschland und man freut sich, wenn man ausländische Firmen abwerben kann. Als Nokia nach Deutschland gekommen ist, hat man dieses auf die Attraktivität des Standorts zurückgeführt und die Finnen, die ihre Arbeit verloren oder einen potentiellen Arbeitsplatz nicht bekommen haben, waren allen egal. Wenn Nokia aber aus Deutschland weggeht, nennt der Politiker das ‚Raubtierkapitalismus‘.
Guter Kapitalismus ist es ja übrigens auch, und das macht die Sache besonders zynisch, wenn die Deutsche Bahn zur selben Zeit wie der Nokia-Skandal in den Nachrichten ist, eine Bahngesellschaft in England aufkauft und dort ‚radikal umstrukturiert‘, d.h. also eine Menge Leute entlässt. Da freut sich der Nachrichtensprecher und mit ihm die Deutschen, dass deutsche Firmen im Ausland was zu sagen haben.

…und verkürzte Kapitalismuskritik fragwürdig ist
Soweit zu Nokia als Beispiel für verkürzte Kapitalismuskritik. Verkürzt deshalb, weil allgemeine Phänomene der Wirtschaft auf Einzelphänomene herunter gebrochen werden. Verkürzt ist Kapitalismuskritik also dann, wenn ein einziges Land, eine Firma, ein Präsident oder ähnliches für alle negativen Seiten des Kapitalismus verantwortlich gemacht werden. Aber auch, wenn es schwer ist zu glauben: Herr Ackermann, die USA und Nokia haben den Kapitalismus nicht erfunden und könnten ihn allein auch nicht am Laufen halten. Alle partizipieren am Kapitalismus, was übrigens jeder von uns, der Lohn ausgezahlt bekommt oder einkaufen geht, auch tut. Zu kritisieren ist das kapitalistische System, was Firmen keine andere Wahl lässt, als das Spiel mitzuspielen. Wenn man das Symptom (also in diesem Fall den Wegzug Nokias) und die Ursache (also das kapitalistische System) verwechselt, kommt da im besten Fall Heuchelei und im schlimmeren Fall Rassismus bei heraus.