Unser Beitrag zum Bundestagswahlkampf #2

Pressemitteilung: CDU-Jugend – politische Heimat für Neo-Nazis?

Wie uns vor kurzem bekannt wurde, agiert in den Reihen der CDU-Jugendorganisation „Junge Union“ (JU) ein seit längerer Zeit bekannter Essener Neonazi.

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Pressereaktionen: NRZ und TAZ

NRZ
Montag, 12.09.2005

„Wir tolerieren keine Grauzone“
WAHLKAMPF / Henning Aretz (CDU) distanziert sich von Ex-Neonazi in seinem Helferteam.
Er war und ist alles andere als ein Aktivposten im christdemokratischen Wahlkampf, aber selbst mit ein paar verteilten Prospekten hat ein Jugendlicher aus Kettwig der Jungen Union wie der CDU, denen er seit einigen Monaten angehört, augenscheinlich einen Bärendienst erwiesen. Denn Zufall oder nicht – gut eine Woche vor der Bundestagswahl hat die Antifaschistische Szene den mittlerweile 16-Jährigen jetzt als vermeintlichen Neonazi der übelsten Sorte geoutet. Während selbst die Grünen gestern schon klarstellende Äußerungen ihres Rats-Partners CDU einforderten, bemühte sich diese um eindeutige Abgrenzung.

Aufklärung von der Antifa
Sowohl der CDU-Landtagsabgeordete Manfred Kuhmichel und Bundestagskandidat Henning Aretz, in deren Wahlkampfteams der junge Mann mitarbeitet(e), als auch der Chef der Jungen Union, Matthias Hauer, versicherten, erst von der Antifa von den Neonazi-Aktivitäten erfahren zu haben. Aktivitäten übrigens, von denen sich der Jugendliche mittlerweile distanziert: Er bezeichnet sich als ehemaligen „Mitläufer“ und „Sympathisanten“, der hoffte, „mit dieser dunklen Zeit abgeschlossen“ zu haben. Heute engagiere er sich gegen Rassismus und Gewalt und beschränke seine Kontakte zu rechtsextrem ausgerichteten Personen „auf das Nötigste“.
Aretz, Kuhmichel und Hauer machten unisono deutlich, dass für Neonazis in Junger Union und CDU kein Platz sei, „da tolerieren wir auch keine Grauzone“, so Aretz, der selbst zu den Erstunterzeichnern für einen Aufruf gegen Neonazi-Aufmärsche gehörte. Allerdings gebe es auch beim Eintritt keine „Gesinnungsschnüffelei“ in der persönlichen Vergangenheit. Sollten sich Zweifel daran ergeben, dass der junge Mann es mit seinem Ausstieg aus der rechten Szene ernst meine, werde man sofort reagieren. Vorsichtshalber wurde er von allen Wahlkampf-Aktivitäten suspendiert.
Schützenhilfe für seinen Kurs gegenüber einem Aussteiger von rechts bekam Aretz gestern übrigens von Jöran Steinsiek: Der ist Kettwiger Ratsherr. Und in der SPD. (woki)

TAZ NRW

Essener CDU kämpft mit Ex-Nazi
Zum Wahlkampfteam der Essener CDU gehört ein Ex-Neonazi. Er darf dort bleiben, weil er sich von seiner Vergangenheit los gesagt hat. Für Rechtsradikale sei in der CDU aber grundsätzlich kein Platz.

VON HOLGER PAULER

Die Essener CDU gerät im Bundestagswahlkampf unter Druck. Im Wahlkampfteam des Essener CDU-Bundestagskandidaten Henning Aretz befindet sich mit Alexander B. ein ehemaliger, stadtbekannter Neonazi. Der 16-Jährige war bis zum Herbst vergangenen Jahres Mitglied der neonazistischen „Kameradschaft Josef Terboven“ – benannt nach einem damaligen Gauleiter der NSDAP-Essen. Alexander B. nahm auch an der Seite des Essener Neonazis Phillip Hasselbach an mehreren Aufmärschen teil, im September 2004 sprach er vor 50 Neonazis auf einer Kundgebung in Herne. Mittlerweile habe er nach eigenen Angaben mit der „dunklen Zeit abgeschlossen“. Die Antifa Essen will ihn dagegen noch im Mai auf Nazidemos gesehen haben.
Bundestagskandidat Henning Aretz selbst kennt Alexander B. nicht persönlich. „Dafür sind die Wahlkampfmannschaften mit 30 bis 50 Leuten zu groß.“ Alexander B. agiere nicht an zentraler Stelle, sagte Aretz. Natürlich könne seine Partei keine Rechtsradikalen dulden. „Für mich war der Kampf gegen Rechtsradikalismus ein Grund in die Politik zu gehen“, so Aretz weiter. Das Distanzierungsschreiben Alexander B.s habe ihn überzeugt. Er darf also vorerst weiter mitarbeiten.
In seinem Schreiben erklärt Alexander B., dass er „vor einiger Zeit mit Leuten aus dem national-sozialistischen Spektrum sympathisiert und an einer Hand voll Demonstrationen teilgenommen“ habe. Mittlerweile seien seine Kontakte zu „rechtsextrem ausgerichteten Personen“ nur noch auf das „Nötigste beschränkt“. Auch habe er „eher die Rolle des ,Mitläufers'“ inne gehabt. Die Rede auf den oben genannten Aufmarsch in Herne lässt hier Zweifel aufkommen.
Er habe den „größten Fehler“ seines Lebens begangen, das sei aber Vergangenheit. „Als Schiedsrichter und Verantwortlicher des FSV Kettwig habe ich es mit vielen verschiedenen Kulturen zu tun“, schrieb Alexander B. in seiner Erklärung weiter. Außerdem bestehe sein Freundeskreis „natürlich genauso aus ausländischen Mitbürgern, wie auch deutschen“. Seit März dieses Jahres ist Alexander B. Mitglied der Jungen Union. Er unterstützte Anfang des Jahres im Landtagswahlkampf bereits den Kandidaten der CDU, Manfred Kuhmichl.
Man müsse in Betracht ziehen, dass der Junge aus „sozial schwierigen Verhältnissen“ stamme und zu seiner Neonazi-Zeit mit 15 Jahren quasi noch ein Kind gewesen sei, sagt Norbert Solberg, Geschäftsführer des CDU-Kreisverbandes Essen. „Wenn wir ihn jetzt wieder fallen lassen, bewirken wir unter Umständen einen Rückfall in alte Zeiten“, so Solberg weiter. „Wenn wir Alexanders Vorgeschichte gekannt hätten, wäre er nie Mitglied geworden“, sagte Solberg, aber man könne ja nicht bei jedem Helfer eine Gesinnungsprüfung verlangen. SPD und Grüne halten sich derweil zurück. „Wir werden die Entwicklung in der Sache abwarten“, heißt es aus dem SPD-Kreisverband.
taz NRW Nr. 7767 vom 13.9.2005, Seite 1, 97 Zeilen (TAZ-Bericht), HOLGER PAULER

Nur eine Kinderei?
In der Wahlkampfmannschaft der CDU Essen tummelt sich ein Nachwuchsnazi. Noch vor einem Jahr soll Alexander B. als Redner einer braunen Kameradschaft aufgetreten sein. Doch weder die politische Konkurrenz noch die CDU machen aus dem Wahlgehilfen eine große Sache. Der Grund: Alexander B. ist erst 16 Jahre alt und hat erklärt, seinen Nazi-Überzeugungen nicht mehr anzuhängen. Schwamm drüber? Nicht ganz.

Dass ein pubertierender Junge sich für Nazipropaganda erwärmen kann, ist das eine. Dass er aber als Halbwüchsiger in einer Kameradschaft mitmacht, die sich ein SS-Mitglied als Namenspatron aussuchte, dass er dort sogar Reden gehalten haben soll, ist mehr als ein Kinderei. Und dass dieser frühreife Hardcore-Nazi in nur einem Jahr als organisierter CDU-Helfer im Bundestagswahlkampf in Erscheinung tritt, ist seltsam: Wenn der Schüler tatsächlich von alten Ansichten weg ist, warum zieht es ihn sofort wieder ins Politische?
Auch Alexander B.’s Erklärung bleibt unklar – er räumt weiter Kontakte zur braunen Szene ein. Freilich kann dieser Satz wiederum dem unreifen Teenagerweltbild entsprungen sein. Doch so oder so sollte er vor einer Fortsetzung der Wahlhilfe seine Gedanken sortieren.
Vielleicht sind die aber gar nicht so verwirrt, sondern höchst pragmatisch: Beobachter streuen das Gerücht, der braune Jüngling mache nur auf CDU, um bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 ohne Meldeauflagen dabei sein zu können.
taz NRW Nr. 7767 vom 13.9.2005, Seite 1, 52 Kommentar CHRISTOPH SCHURIAN.